Die Eskapistin

Ich leide unter post-adoleszenter Bettverlustangst

Stress-Pusteln in 100 Metern/Die Ausgangstür weit entfernt

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Ich gehe eher ungern einkaufen. Also das, was neudeutsch „shoppen“ heißt. Ich bummele gerne an der frischen Luft, aber „shoppen“ versetzt mich in Stress. Alleine der Gedanke, dass man unbedingt eine Hose oder dringend eine Strickjacke braucht, nur um das „Shoppen“ als Erfolg werten zu können – furchtbar. Mittlerweile habe ich mir angewöhnt, nur eine Hosenmarke zu tragen – da kenne ich meine Größe, greife ins Regal, bezahle und renne raus. Schnellstmöglich sogar. Ich muss moralisch-emotional schon sehr gefestigt sein, um an einem Sonnabend in die Fußgängerzone zu gehen und in überfüllte Geschäfte zu drängen. Denn da ist das eigentliche Problem: diese Menschenmassen erschrecken mich jedesmal und ich bin froh, wenn sich die Türen des Geschäfts hinter mir schliessen und ich frische Luft einatme.

Mein absoluter Horror sind Einkaufscenter oder auch: „Shopping-Center“. Nicht nur, dass sie das was man „natürlich gewachsen“ nennt ad absurdum führen, nein: sie sind der betongewordene Horror. Ich, als freiheitsliebende Ostfriesin freiheitsliebender Mensch, der nichts mehr hasst als Determination und Manipulation (oder wer fragt sich nicht, warum man in Einkaufszentren IMMER Hunger bekommt und denkt: „Oh, eine Handcreme könnte ich auch noch kaufen…“) kann nicht verstehen, was einem Einkaufscenter verlockend sein soll. Der Geruch des 100 Meter entfernten Douglas macht mir Stress-Pusteln in mein ohnehin gerötetes Gesicht, die übertemperierte Luft treibt mir den Schweiß aus den Poren, mein Herz rast von dem Gedanken, dass der Ausgang erst in 50 Metern und 200 Menschen erreichbar ist. Ich bin gefangen.

Wenn ich schon einkaufen gehen muss, also „shoppen“ gehe, dann brauche ich frische Luft zwischendurch. Luft, die mein Herz auf Normal-52 runterbringt, die mir das Gefühl gibt, nicht zwischen hormongesteuerten Leibern gefangen zu sein. Ich möchte Abwechslung in den Fassaden, um mich vom missglückten Rock-Kauf zu erholen, und den Regen auf meinem Gesicht, der die Tränen nach dem Jacken-Desaster verwischt.

Ohnehin ist die Stadt schon gesprenkelt mit Jugendlichen, die sich emanzipieren wollen. Wovon sie das tun wollen – es ist eine Frage, die nie endgültig geklärt werden wird. Klar: irgendwie von den Vorstellungen ihrer Eltern, dass sie immer noch klein sind und die einzigen Gelüste Schokoladenpudding und ein Lego-Auto sind. Aber ehrlich: ein rebellierender Teenager ist so vorhersehbar wie das nächste Trainerdebakel bei Schalke 04. Die Jugendlichen sitzen also da, die Tüte mit den Resten der Kochlöffel-Hähnchen in der Hand und starren einem auf den Hintern, verteilen zumeist schlechte B-Noten. Gelobt sei da der Regen/die Kälte/der Wind, der sie nach Hause treibt.

Aber in einem Einkaufszentrum: Albtraum! Da gibt es keinen Regen, da ist es so warm, dass die Mädchen ihre Strickjacken ausziehen und die aus Jeans und zu engem Shirt schwappenden Fettrollen präsentieren können. Die Jungs verteilen ungehindert den teenager-typischen Puma-Gestank und machen sich mit brüchigen Stimmchen auf zur Jagd nach dem ersten Kuss. Wer dieser Kombination in die Quere kommt – der Fußballgott sei mit ihm.

Eine gute Sache gibt es am „Shoppen“: das Kaffeetrinken danach. Das in der Sonne sitzen, den Milchschaum mit dem Löffel aus dem Becher kratzen, die Gedanken schweifen lassen, die warme Luft auf der Haut spüren. Im Einkaufszentrum gibt es nur eine Temperatur: stickig. Die Stimmen, die von den Wänden und Decken zurückgeworfen werden, sorgen für zusätzlichen Anstieg der Pulsfrequenz. An der frischen Luft verklingen die Stimmen, die Musik schwebt durch die Luft. Das Gefühl ist ganz anders.

Menschen wie Hochwasser-Petey trifft man in Einkaufscentern. Dort können seine Mitmenschen nicht schnell genug flüchten. King of Einkaufscenter ist Hochwasser-Petey dann. Dort, zwischen lauter Geschäftsketten, fernab von kleinen liebevoll inhabergeführten Geschäften sitzt er auf einer Bank, umgeben von Plastikpflanzen und Lautsprechern aus denen Frösche künstlich quaken. Er kennt die Security, die es schon längst aufgegeben hat, ihm zu sagen, dass man in Einkaufscentern einkauft und nicht lungert. Er kennt die Aktionswochen von McDonalds schon einen Monat vorher und hat die Hausordnung schon mehrfach gelesen – nur, um immer wieder dagegen zu verstoßen.

Draußen hätte ihn der Herbst längst von der Bank vertrieben. Dort hätte er auch nicht gerne gesessen. Echte Pflanzen locken immerhin Spinnen – und Spinnen, die mag Hochwasser-Petey nicht. Auch hätte ihm wohl die Musik gefehlt, der gekaufte Shantychor, der vor dem Fischladen regelmäßig seine Lieder schmettert (und wahlweise – zu den Südamerika-Wochen – zu Peruanern umgestylt wird). Dort sitzt Hochwasser-Petey dann. Umgeben von Beton, künstlichem Geruch und manipulierendem Licht – fernab von Sonne und Wind und Regen und dem Geruch von – ja, von Freiheit.

12 Kommentare zu “Stress-Pusteln in 100 Metern/Die Ausgangstür weit entfernt

  1. Ich war am Freitag in den Schlosshöfen und ich kann dich so gut verstehen. Das da ist Shopping in seiner allerschlimmsten Ausführung (aber es gab 10 % Rabatt bei dm).

    • keine 50% bei dm kriegen mich da rein. als ich noch in oldenburg wohnte, war ich schon gegen dieses (un-)ding. deswegen werde ich es, genau wie das in leer geplante center, boykottieren. konsequent.

  2. Es ist ein Mysterium: alle, aber auch wirklich alle Menschen, die ich kenne, hassen Shopping Center und kriegen da drin aggressive Anfälle und Fluchtreiz. Warum werden die Dinger gebaut und sind so erfolgreich?

  3. ohhhhhh, dieses mal bin ich ja soooooooooo gar nicht einer meinung mit dir! 😉 ich LIEBE shoppen und am meisten liebe ich es, in einkaufszentren zu gehen 🙂 da ist alles schön beeinander, da hat man eine riesige auswahl an läden (die ich persönlich allesamt abklappere!) und kann genüsslich genau da seinen café trinken, wo man am meisten bock drauf hat. dazu kommt es bei mir allerdings selten, denn wenn ich schonmal shoppen gehe, dann richtig. das heisst ohne pause und im vollrausch. und ob du es glaubst oder nicht: 7h shopping im einkaufszentrum bedeuten für mich entspannung pur! Herrje, wie lange hab ich das nicht mehr gemacht?!! :(((( und herrje, was werden deine intellektuell gehaltenen leser jetzt von mir denken, da ich doch jedes cliché einer frau erfülle?! hehe, ich will’s lieber nicht wissen 😉 liebe grüsse aus norwegen, wo es sich übrigens deutlich schlechter shoppen lässt als in deutschland…

    • nein, ich verurteile dich nicht. zwei liebe freundinnen von mir sind total heiß auf shoppingcenter. für mich ist das einfach nur stress – und ich neige einfach schwerst zur polemik…

  4. kennst du „mallrats“? einer meiner lieblingsfilme und er zeigt das andere, das noch bösere gesicht der malls (die ich ebemfalls hasse. ich bestell eh fast alles im netz, ich nerd).

    • nee, leider nicht. werde ich aber nachholen! ich bestelle aber auch – und übrigens – kaum etwas im netz, sondern gehe dann einfach in geschäfte, die ihren ausgang an der frischen luft haben…

  5. Ich mag eigentlich auch echte Geschäfte mit echten Ein- und Ausgängen. Aber selbst die gut geführte Fußgängerzone in der Innenstadt scheint rar geworden zu sein. In der kleinen Stadt gibt’s im Prinzip nichts für mich außerhalb von Centern zu kaufen (die teils auch ziemlich leergezogen sind) und klamottenmäßig bestelle ich einiges inzwischen im Netz. Leider. Denn gerade dabei möchte ich die Sachen anziehen, auswählen, bezahlen, fertig. Was gefällt, passt und stilvoll ist, gibt’s hier jedenfalls nicht.

    Bin ja schon froh, wenn ich überhaupt mal Läden finde, in denen ich vor Ort mein sauer verdientes Geld ausgeben kann (Buchladen, ein sehr qualifizierter Weinladen, der Neue-Herr-Adonis-Laden).

    • zum einkaufen (klamotten) fahre ich meistens nach winschoten – noch, denn leider kann ich die stadt mitsamt der kleinen, inhabergeführten boutiquen nicht einfach umsiedeln…

      viele geschäfte wollen das sauer verdiente geld aber auch gar nicht: vor kurzem wollte ich ein diktiergerät und einen drucker kaufen. aber die verkäufer interessierten sich nicht für mich, sondern lästerten munter über kollegen….

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