Die Eskapistin

Ich leide unter post-adoleszenter Bettverlustangst

Der bessere Mensch

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Vor einiger Zeit war ich schlecht gelaunt. Nun, das bin ich häufiger mal. Aber es hatte mich schwer erwischt. Ich hatte kalte Füße, meine Augen waren müde und an der Supermarktkasse standen gefühlte 83 Menschen vor mir. Und während ich dort so stand, ob der Länge der Schlange mitten im Laden, fragte mich eine Frau, ob sie wohl eben an mir vorbei könnte; nicht in der Schlange, einfach nur auf die andere Seite des Geschäftes, das durch die Kunden geteilt war. Einen Schritt zurück hätte ich nur gehen müssen, stattdessen grummelte ich und ließ mir Zeit. Viel Zeit. Und verdrehte die Augen.

Nun ist das nichts sonderlich Schlimmes. In Deutschland gibt es dieses Verhalten täglich tausendfach und vermutlich dachte die arme Frau nur, ich sei wohl etwas langsam im Kopf. Aber ich dachte mir, gefangen in schlechter Laune und Hass auf die Kassenschlange, dass ich vielleicht ein besserer Mensch werden müsste.

Ein besserer Mensch.

Als ich dann so die Einkäufe nach Hause trug, dachte ich darüber nach, was das überhaupt sei – ein besserer Mensch.

Gestern am Bahnhof, aus Berlin zurückkomend, wo ich gearbeitet und 1,30 Euro für eine Kugel Eis bezahlt hatte, sah ich Plakate einer Tierschutzorganisation, die für Menschlichkeit im Umgang mit Tieren warb. Ich dachte an den Gazastreifen und Israel, die Ukraine, Russland, den Sudan und all die Dinge, die das Ansehen der Nachrichten so unerträglich machen.

Das ist pathetisch, aber der Leser, der sich noch nicht abgewendet hat, weiß, was ich meine.

Ich kenne viele, die ein besserer Mensch werden soll. Der Weg führt über Veganismus, Vegetarismus oder den Verzicht auf das neueste iPhone; sie lernen neue Sprachen, um einen Einblick in neue Kulturen zu erhalten oder schaffen das Auto ab, weil die Bahn und das Fahrrad ökologischere Alternativen sind. Sie gehen auf Demonstrationen, kleben Sticker an Laternenpfahle und tragen Buttons, die auf Unrecht hinweisen.

Das ist toll. Jeder Mensch sollte das machen, was er kann und was er fühlt, imstande zu sein. Das Problem liegt im „besserer“. Denn für viele ist der Vergleich mit „besser“, der Komparativ von „gut“, nicht der Vergleich mit sich selber. Nicht das „So war ich vorher, so bin ich jetzt“. Es ist der Vergleich mit anderen. „Ich bin besser als der Mensch dort, weil er eine Currywurst isst und ich Saitan selber siebe.“ „Ich bin besser als der Mensch im Auto an der Ampel, weil ich auf dem Fahrrad sitze und nicht die Straßen der Stadt verstopfe.“

Das Richtige zu tun wird immer mehr ein Richtiges aus falschen Gründen. Es ist ein sich gegenseitiges überbieten, um noch besser zu sein. „Ich bin toleranter als Du“ und es wird an Menschen, an Projekten gemessen; dass die Menschen, Projekte dadurch zu schlichten Steigleitern degradiert werden, wird vergessen.

Wir sehen auf Menschen herab, ohne zu wissen, warum sie etwas tun, was ihre Beweggründe sind. Vielleicht isst der Currywurstesser das erste Mal seit Wochen Fleisch, ernährt sich sonst fleischarm, hat aber ausgerechnet heute unfassbaren Appetit und genießt die Wurst einfach nur? Wer ohne Schwäche ist, der werfe das erste Kissen.

Ich bin selber mehr als schuldig. Ich bin gut im Herabblicken. Im Rewe sehe ich auf die davor sitzenden Alkoholiker und denke ungute Dinge. Weiß ich, warum es soweit kam? Was muss passieren, damit man in kaputter Hose und nach Schweiß und Bier stinkend tagtäglich vorm Reudnitzer Rewe sitzt? Frauentausch guckend, lache ich über die Rechtschreibfehler der Frauen, als würde ich nie welche machen (geschätzt: sieben allein in diesem Text). Ich finde Iros furchtbar und habe bei dem Anblick immer den hinter mir und Lorelei popelnden Sascha Lobo im Kopf; der Leipziger Freund trug jahrelang einen in verschiedensten Farben – wäre ich ihm weniger zugeneigt, wenn er heute noch einen hätte; wäre ich ihm überhaupt zugeneigt?

Während ich den Text schreibe, weiß ich schon, dass ich mir bald wieder vornehmen werde, ein besserer Mensch zu sein und doch scheitere, weil ich manchmal eben viel zu viel nachdenke und dann gar nicht mehr. Weil ich das „besser“ nur kurz an mir messe und dann an anderen. Und weil ich immer noch nicht weiß, was „Menschlichkeit“ ausmacht, ob das überhaupt der richtige Antrieb für richtiges Verhalten ist und ob es nicht besser wäre, sich an anderen Werten zu messen. Oder ob man sich einfach gar nicht messen sollte, sondern das tun sollte, was man kann und schafft und will. Und dann ist es einfach genug.

5 Kommentare zu “Der bessere Mensch

  1. Ich finde, dieses Hinterfragen des eigenen Verhaltens und der Vorurteile gegen andere Menschen ist aber zumindest schon mal ein Schritt in die richtige Richtung und gefühlt mehr, als die meisten Menschen tun.
    Dass man dadurch aber nicht zum Übermensch wird, ist auch klar.

    Heilsam sind ja immer diese kleinen Lektionen im Alltag, wenn ausgerechnet der „Voll-Prolo“/der „Jogginghosen-Asi“/[insert klischeebeladene Vorverurteilung here] sich als unerwartet höflich erweist, einem Platz macht, einen vorlässt, einem seinen Sitzplatz anbietet, die Tür aufhält, whatever. Und man denkt sich dann so: „Ich dummes Aas…“

  2. Das ist ein wunderbarer Text. Dem ist nichts hinzuzufügen. Und er regt natürlich zum sich an die Nase fassen an, denn so ich Dir in allen Punkten recht gebe, fühle ich mich doch ertappt, weil ich hie und da auch besser bin – als andere

  3. Ich hab vor einiger Zeit mal einen Artikel von Christine Finke gelesen, in dem sie beschreibt, warum sie kein Vegetarier mehr ist. Darin schrieb sie auch, dass sie sehr viel entspannter ist, seit sie sich selbst nicht mehr so wichtig nimmt. Und ich denke, das ist genau der Punkt. Wir sollten weniger in „ich mach es richtig(er) und die anderen machen es falsch“-Schubladen denken und sehen (so esotherisch das auch klingt), dass wir doch Teil des Großen Ganzen sind. Natürlich ändert das erstmal nichts daran, das viele Sachen einfach schlimm sind und man sich durchaus engagieren sollte. Aber eben nicht für das Ego.

    Hier noch der Artikel: http://mama-arbeitet.de/gestern-und-heute/warum-ich-kein-vegetarier-mehr-bin

  4. Wow. Ein toller Text! Ich liebe die Stelle „Das Problem liegt im “besserer”. Denn für viele ist der Vergleich mit “besser”, der Komparativ von “gut”, nicht der Vergleich mit sich selber.“, weil sei einfach so klug, so wahr ist und gar nicht mal so offensichtlich. Es kommt mir vor, als müsstest du einen irrehellen Geistesblitz gehabt haben, um diesen Satz in dieser Form zu schreiben. (Nicht falsch verstehen, ich halte dich nicht für dumm oder so, kenne deinen Blog erst seit eben, ich finde nur den Satz so ungemein inspiriert und inspirierend.) Chapeau.

  5. Danke für diesen guten Text. Dieses bedenkenträchtige Gutmenschentum von einigen Veganern geht mir beispielsweise tierisch auf die Nerven. „Besser“ – „Schlechter“. Was entscheidet das? Wer ist das Maß aller Dinge? Wenn wir es vielleicht mal ersetzen würden durch das Wort „Anders“, wären wir womöglich toleranter. Das fände ich persönlich besser. Wow, was für ein toller Nebeneffekt.

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