Die Eskapistin

Ich leide unter post-adoleszenter Bettverlustangst

MeinLeipzigLobIchMir überall

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Schön. Manchmal unheimlich. Anders.

Schön. Manchmal unheimlich. Anders.

Ich liebe Leipzig. Der geneigte Leser weiß, welch innige Beziehung ich in mittlerweile 21 Monaten zu dieser Stadt aufgebaut habe. Nie hätte ich gedacht, dass es neben Ostfriesland einen Ort gibt, der es immer wieder schafft, mich sprachlos zu machen, mich spontan glücklich macht. Leipzig schafft es immer wieder. Der Blick am Morgen, die Gohliser Straße hoch. Wo der Tag gerade beginnt, Eltern ihre Kinder zur Schule bringen, ältere Frauen ihr kleinen Wägelchen zum Supermarkt ziehen, der Bäcker seinen gelben Wagen entlädt und dabei die halbe Straße blockiert. Wo der Gemüsemann hohe Stapel gefährlich wankender Kisten nach draußen trägt. Der Geruch am Zoo, die aufgeregt redenden Kinder am Eingang. Das Verkehrsgewusel am Goerdelerring. Die Stille am Wasser zwischen Wahren und der Innenstadt. Der leere Pool im Palmengarten, auf dessen Grund über Wochen Limetten lagen.

Adelina von Leipzig leben hat nun dazu aufgerufen, den ganz persönlichen Lieblingsort vorzustellen. Aber was nehmen? Ich liebe die ganze Stadt. Bei Glatteis. Wenn mir der Regen ins Gesicht spritzt. Wenn die Sonne vom Himmel scheint. Wenn Nebel die Sicht einschränkt. Wenn der Schnee fällt.

Letzendlich entschied ich mich für den Punkt, an dem ich bei beinahe jedem Spaziergang entlang spazieren muss. Nicht, weil er besonders schön ist. Er ist nicht einmal besonders spektakulär. Und viele meiden die Ecke.

Wer aus der Stadt kommend die Pfaffendorfer Straße, die Gohliser, die Lützower Straße und dann die Virchowstraße in Richtung Gohlis fährt, sieht irgendwann einen Gebäudekomplex auf der linken Seite. An der Otto-Adam-Straße, der Wilhelm-Plesse-Straße und dem Viertelsweg. Niemand wohnt dort mehr. Die Fenster sind vernagelt, die Balkone teils abgerissen und verfallen. Ein riesiger Innenhof ist verwildert und durch hohe Zäune abgeriegelt.

Innenhof

Tagsüber sehen die Gebäude einsam und vergessen aus. In der Dämmerung und im Dunklen wirken sie manchmal wie eine Kulisse aus einem Film. Wie ein Mahnmal aus einer längst vergessenen Zeit. Hier ist nichts saniert. Durch blinde Flurfenster sind eingestürzte Zwischendecken zu sehen. Im vergangenen Sommer brannte ein Dachstuhl aus. Hier spielen keine Kinder, es riecht nirgendwo nach Essen, nirgendwo brennt Licht.

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Im Winter wird hier kaum geräumt. An abgebrochenen Dachrinnen hängen Eiszapfen, die immer einmal wieder mit einem Knacks abbrechen.

Eis

Die Ecke ist vielleicht nicht die schönste Ecke in Leipzig. Vermutlich nicht einmal die Zweitschönste. Und trotzdem bin ich dort regelmäßig, laufe an den Wänden entlang, sehe minutenlang zu den Balkonen hoch. Ich überlege, wer dort einmal gewohnt hat. Wie die Wohnungen ausgesehen haben mögen. Warum niemand den Komplex mit dem wunderbar riesigen Innenhof saniert. Was die Menschen bewogen hat, hier wegzuziehen. Ich stand dort schon zu jeder Tages- und Nachtzeit. Ich habe Taschenlampen von einbrechenden Jugendlichen gesehen. Ich habe das Kind gesehen, das durch den Zaun auf einen gelben Schmetterling zeigte. Ich habe dort mit lieben Menschen gestanden und darüber gesprochen, was wäre, wenn hier wieder Leben wäre. Wenn all die Wohnungen saniert würden, der Innenhof einen Spielplatz hätte und die Kinder zum Kiosk um die Ecke laufen könnten, um dort ihr Eis zu kaufen. Vermutlich macht das den Reiz dieser Ecke aus. Hier hat man noch das Gefühl, dass alles möglich ist. Irgendwie. Irgendwann.

Keine Fenster.

2 Kommentare zu “MeinLeipzigLobIchMir überall

  1. wunderschön beschrieben. Da wird mir ehrlich ganz warm ums Herz

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