Die Eskapistin

Ich leide unter post-adoleszenter Bettverlustangst

Das Cello mit dem dicken Bauch

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Früher hatte eine Schulkameradin auf ihrem Federmäppchen „Mein Bauch gehört mir“ stehen. Der Slogan war (oder ist) ist unter denen weit verbreitet, die für ein Recht auf Abtreibung ohne demütigende Beratungen oder Verurteilungen durch andere sind. Aber darum soll es nicht gehen. Ich muss in vergangener Zeit häufig an „Mein Bauch gehört mir“ denken. Mein Bauch gehört nicht mehr nur mir. Seit dort ein kleiner Mensch wohnt, der mit der Kraft eines Premier League-Stürmers die Bauchdecke zum Eindellen und Hopsen bringt, ist mir das sehr bewusst. Es ist unser Bauch, den ich eincreme, mit dem ich spreche, dem ich in den schiefsten Tönen Lieder vorsinge und der mittlerweile selbst meine weitesten Pullover an seine Grenzen bringt.

Aber offenbar – und mir war das nicht bewusst – gehört der Bauch nun auch dem Rest der Menschheit. Nicht nur, weil so viele ungefragt mit Weisheiten um die Ecke kommen, bei denen schon der gesunde Menschenverstand sagen sollte: „Da kann doch etwas nicht stimmen!“ Es ist mehr so, dass Menschen, die man seit Monaten nicht mehr sah, deren Geburtstag man nicht weiß und auch nicht wissen möchte, dass diese Menschen auf den Bauch fassen. Ohne zu fragen. „Ohja, da sieht man ja schon gut was“ sagen sie und schwupps ist die Hand dort, wo ich sie nicht haben möchte.

Man kann nun sagen, dass es eben distanzlose Menschen gibt. Aber es ist mehr. Es macht aus mir irgendwas, für das mir noch der Begriff fehlt.

Ich bin ein egozentrischer Mensch, ich lerne gerade, dass ich fortan nicht mehr die erste Geige in meinem Leben spiele, sondern das Cello in der zweiten Reihe bin, auf das sich die anderen Instrumente irgendwie betten. In manchen Nächten liegt vorne am Bauch der Kater, hinten am Rücken verdreht der Freund und in mir tobt der Sohn – am liebsten zwischen 4 Uhr und 5 Uhr und 7 und 8 Uhr. Auch dann weiß ich, dass ich nicht mehr allein bin. Ich bin nun eben ein Cello.

Manchmal finde ich es wunderschön. Das Gefühl, das ich gewollt bin, da wo ich bin – und sei es nur als Kissen oder Ballon, in dem herumgedreht und herumgehickst wird. Das ist vermutlich genau das, nach dem die meisten streben und ich bin glücklich, dass ich es habe.

Aber manchmal – und ich verfluche die Hormone, die aus einem ein weinendes Wrack machen – denke ich: „Nein, ich will mein Leben zurück. Ich will Salami essen und Lakritze bis zum Abwinken; ich will Rotwein trinken bis meine Lippen krustig-rot und meine Zähne rosa-schimmernd sind; ich will keine Kotztücher auf Vorrat kaufen, ich will in das Kleid dort vorne passen – jetzt!“

Da stehe ich dann, mit dem von zu viel Fruchtwasser gespanntem Bauch und in diesen Momenten kommt die Hand, die eigentlich fremde Hand. „Oh, so schön.“

Ja, dass der Bauch schön ist, das sollen mir alle sagen. Es ist zwischen trockener Haut, Kotzerei, Atemnot und strähnigem Haar eine Wohltat, dass man offenbar doch noch mit etwas beeindrucken und begeistern kann. Aber die Hand, die hat da nichts zu suchen. Es ist mein Bauch; er gehört mir und dem Sohn und ein wenig meinem Freund, der es liebt, wenn ihm in die Hand gehickst wird und die Dellen sich wie in einem Alien-Film unter der Bauchdecke langschieben. Auch meine Freunde und meine Familie dürfen anfassen, wenn sie denn möchten und ich das ebenfalls möchte. Wenn ich mich freue, das brummende Cello hinter der ersten Geige zu sein.

Meistens ist es doch ohnehin so, dass der Kleine – ganz der Punk-Vater – sich dem Erwartungsdruck entzieht, ja widersetzt, und aufhört sich zu bewegen, wenn eine fremde Hand sich dem Bauch nur nähert. Ich stelle mir dann vor, wie er sich denkt: „Die Hand kenne ich nicht, die soll weg.“ Und dann bin ich stolz. Sehr stolz. Offenbar sind wir einer Meinung und ich weiß, dass wir in den kommenden Jahren vermutlich eher häufiger geteilter Meinung sein werden.

Aber vielleicht habe ich auch etwas verpasst; immerhin machen wir unseren Geburtsvorbereitungskursus erst in wenigen Wochen (dafür aber schön kompakt). Und vielleicht wird uns dort dann gesagt, dass der Bauch mit dem Kind der Gesellschaft gehört – ich mit der Schwangerschaft das Recht auf Selbstbestimmung abgegeben habe, ich mit meiner ablehnenden Haltung zur Tätschelei dem Kind schon im Mutterleib zu viel Skepsis mitgebe und einen Misanthropen heranziehe, aus dem nur ein Chemielehrer mit Hass auf Alles nur nicht auf Borosilikatgläser werden kann.

5 Kommentare zu “Das Cello mit dem dicken Bauch

  1. Oh, das kenne ich. Das ging mir auch so auf die Nerven. Und es wird noch schlimmer werden, wenn die Leute nämlich einfach das Baby tätscheln.

  2. Oh, es ist also wirklich so? Schrecklich. Ich hoffe für dich, dass du oft genug Lust hast, das brummende Cello zu sein, dann erträgt es sich leichter, die Hand energisch wieder abzuschütteln … oder so.

  3. Haha, sehr schön geschrieben 😀 kommt mir auch sehr bekannt vor… so viele haben sich zwar nicht getraut anzufassen aber immernoch genug, sodass es mich stört. Vor allem das Getätschel der Schwiegermutter, die einen Moment später fragt, ob man nicht zu viel zugenommen habe ist wirklich sehr erfrischend. Oder das Geglotzt ist auch immer wieder schön…

    Liebe Grüße, Frida

  4. Was für komische Leute Ihr kennt! Oder ist das eine Frage der Zeit? Meine Kinder sind ja nu selber schon im Kinderkriegealter, aber als ich mit denen schwanger ging, hat niemand fremdes an meinen Bauch gefasst. Vielleicht, bitte jetzt nicht missverstehen, liegt es daran, dass Schwangerschaften damals noch etwas ganz normales waren? Und vermutlich häufiger?
    Na wie dem auch sei, ich wäre ausgetickt, wenn jemand Fremdes ohne zu fargen, mir an den Bauch gefasst hätte. Aber damals, als ich schwanger war, haben die Leute gefragt, ob sie mal anfassen dürfen.
    Komisch, wirklich komisch

  5. Wen interressiert bitte dein Leben?

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