Die Eskapistin

Ich leide unter post-adoleszenter Bettverlustangst

Die Sache mit dem Milchreis

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Es ist verwunderlich und hat sich in den vergangenen Tagen zu einem kleinen Selbstläufer gemausert: meine Abneigung gegen Milchreis. Im dem kleinen Abschnitt, der die Sphären meiner Persönlichkeit abstecken soll, steht viel über mich: dass ich gerne im Auto singe. Dass ich meine Brüder liebe. Dass ich gerne am Deich sitze. Dass ich gerne Frischkäse esse. Aber all das verschwimmt hinter: Ich mag keinen Milchreis.
Und ich mag ihn wirklich nicht. Ich scheine damit aber eine kleine Besonderheit in der Welt der Geschmäcker zu sein.

Damit fing das Elend auch eigentlich an. Mein Milchreis-Leid. Denn meine Mutter konnte sich nicht vorstellen, dass es ein Kind geben sollte, dass keinen Milchreis mag. Wie einige wissen: Ich habe eine sehr junge Mutter. Vielleicht hat sie sich von dem Gerede im Kindergarten beeindrucken lassen. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich – mein Bruder war schon zum Spielen draußen – eine Stunde nach dem Mittagessen immer noch an dem runden Holztisch saß. Vermutlich war ich noch so klein, dass meine Füße den Boden kaum berührten. Vor mir stand dieser Teller, angefüllt mit Milchreis. Alles garniert mit Zimt und Zucker.

Meine Mutter wusch ab und sagte: „Nun iss das doch. Jedes Kind mag Milchreis.“ Der zähe weiße Klumpen auf dem Tisch war schon kalt. Ich konnte meinen Löffel hineinbohren und er blieb stecken.

Ich glaube tatsächlich, dass es zuerst die Konsistenz von Milchreis war, die mich abschreckte. Da ist zum einen der Reis, der aufquillt und im Topf etwas von gerade sterbenden Maden hat. Und dann, im leicht erkalteten Zustand, hat es etwas von gerade festem Kleister. Dann ist da aber auch dieses schleimige Weiß. Der Anblick von Milchreis macht mich traurig. Er ist trist. Ich finde, Essen muss fröhlich aussehen.

Diese Konsistenz mit einer geschmacklicken Mischung aus Nichts und der Haut, die auf zu heißer Milch schwimmt, ist grausam. Hinzu kommt ein Geruch, der einzigartig im negativen Sinne ist. Ich glaube, es wurde hier schon einmal thematisiert, dennoch möchte ich noch einmal darauf hinweisen: Milchreis stinkt.

Als ich noch studierte und beinahe direkt neben der Uni wohnte, da konnte ich es am Morgen schon riechen, wenn es in der Mensa Milchreis geben sollte. Es ist ein säuerlich-dumpfer Geruch. Eigentlich die olfaktorische Entsprechung zu der Kleisterkonsistenz. Wie der Geruch von Rotkohl und Tram-Pups, kriecht er in jede Ecke des Bewusstseins.

Ein ganz wunderbarer ehemaliger Kollege, der mochte Milchreis. Weil er aber eher kochfaul war, kaufte er sich Milchreis von einer Firma, deren Namen wir hier nicht nennen wollen. Und dieses Zeug ist nun wirklich der Gipfel des Ekels. Das ganze Büro roch danach, wenn er den Deckel abzog. Er grunzte auf liebenswerte Art und Weise etwas von „Ist doch lecker“, ich drehte mich und verließ fluchtartig das Büro.

Aber: So ist das eben mit den Dingen, die man nicht essen mag. Sie sind nicht nur Geschmack. Sie sind auch Gefühl. Meine Mutter hat auch „ihr“ Milchreis. Sie mag keine Kartoffeln. Und das kann widerum ich nicht verstehen. Ich liebe Kartoffeln. Gerne würde ich sie nach dem Mittagessen mal vor dem Teller sitzen lassen und sagen: „Muttern, nun iss. Jeder mag Kartoffeln.“ Und wenn ich mir so ansehe, wie teuer gute Unterkünfte für ältere Mitmenschen sind, dann ahne ich: dieser Moment könnte irgendwann kommen.

Zurück zum Kartoffelgefühl meiner Mutter: Sie sagt, dass neben dem Geschmack die Konsistenz widerlich sei. Ich hielt in einer Diskussion darüber schon einmal entgegen: „Muttern, aber es gibt doch verschiedene Konsistenzen bei Kartoffelm.“ Sie sah mich an, als wäre ich beim Schwimmenlernen nach drei Wochen immer noch eine Gefahr für mein Leben: „Ulrike“, sagte sie: „Die Stärke in der Kartoffel ist immer da.“ Das wäre der perfekte Zeitpunkt gewesen, um darauf hinzuweisen, dass Milchreis eben auch immer wie ein Genozid an Maden aussieht. Aber ich wollte nicht frech werden. Man soll seine Mutter schließlich ehren.

Tja. So hat jeder sein Essen, das er nicht mag. Ein Essen, das noch mehr ist als nur Ekel. Es sind Erinnerungen daran, wie wir als Kind vor diesem Teller saßen und nicht in ansprechender Weise unseren Eltern kommunizieren konnten, dass es uns einfach nicht schmeckt. Mit zwei oder drei Jahren kann man den Teller noch schreiend gegen die Wand werfen. Dann ärgern sich die Eltern zwar, freuen sich aber über ihr meinungsstarkes Kind, das es irgendwann ganz weit bringen wird.

Wenn man mit sechs Jahren noch Teller gegen die Wand wirft, dann bekommt man Hausarrest.

(Das bisher letzte Mal warf ich mit 27 Jahren einen Teller gegen die Wand. Es lag nicht am Essen. Es lag am Mann. Aber das ist eine andere Geschichte.)

PS: Wo wir doch gerade bei mögen sind: Weiß jemand, wo ich – verdammichnochmal – Frischkäse her bekomme, der nicht in Plastik eingepackt ist?

PPS: Danke für all die netten Mails, Twitter-DMs, Whatsapp-Nachrichten, Einladungen zum Abschalten und und und und… An dieser Stelle setze ich das einzige Herz, das jemals in diesen virtuellen Räumlichkeiten gesetzt werden wird: ♥

7 Kommentare zu “Die Sache mit dem Milchreis

  1. Frischkäse, der nicht in Plastik verpackt ist, sondern in Alufolie und einem Pappkarton drumrum daherkommt, findest du in den USA. In Philadelphia zum Beispiel.

  2. Herrje, diese Kommentarfunktion hat mich grandios überfordert.

    Ich mag keinen Milchreis. Und ich mag auch keine Kartoffeln. Plastikfreien Käse würde ich wohl mit einer Tupperdose bewaffnet auf dem Wochenmarkt suchen. Oder in meinem Molkereiladen.

  3. Ich mag deine Mutter, denn ich mag auch keine Kartoffeln. Aber es liegt nicht an der Stärke, es liegt an einer Kindheitserinnerung, in der Grundschule. Dort gab es eine Essensfrau (so nannten wir sie), die hatte nichts anderes zu tun, als das Mittagessen vom Lkw abzuladen, der es brachte, und dann lud sie es auf den Teller: Kartoffeln! Kennt ihr das, wenn Kartoffeln noch nicht richtig durch sind? Oder schlimmer: So alt sind, dass sich so eine Haut bildet? Das knackt richtig beim Reinbeißen, wie bei einem Apfel.

    Pommes knacken nicht. Und Folienkartoffeln, Kroketten und Kartoffelbrei zum Glück auch nicht!

    PS: Gibt es nicht einen Frischkäse, dessen Packung an einen Holzeimer erinnert? Nein, ich erlaube mir jetzt keinen blöden Spaß wegen des Holz-Eimers… Aber vielleicht ist der ja aus Pappe?

  4. Ich mocht auch lange Jahre keinen Milchreis,besonders nicht den selbst gekochten. Bis ich den Milchreis eines großen, nationalen Konzerns entdeckte, der jetzt ab und an den kleinen Hunger bei mir am Nachmittag stoppt. Den mag ich. Besonders den mit Kirschen! Sorgte für Verstimmungen mit meiner Mutter, als ich ihr das jetzt am Telefon beichtete.

  5. Du bist mit deiner Abneigung gegen Milchreis nicht alleine. Mich kann man damit auch jagen. Meine Mutter hat mir allerdings immer eine Quarkspeise mit Kirschen gemacht, wenn es für die anderen Milchreis gab.

    Schlechte Erinnerungen habe ich an Cornflakes. Vor der Schüssel habe ich mal einen kompletten Sonntag gesessen. Man kann sich vorstellen, wie die Dinger abends aussahen, nachdem sie morgens bereits in der Schüssel auf die Milch getroffen waren. Mein Vater war da scheinbar sehr streng. ECHTES Abendessen gab es für mich erst, wenn die Cornflakes aufgegessen waren. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich an dem Abend kein Abendessen hatte.
    Ach ja, und einfache gekochte Kartoffeln mag ich auch nicht! 🙂

  6. Du bist mit deiner Abneigung gegen Milchreis nicht alleine. Mich kann man damit auch jagen. Meine Mutter hat mir aber immer eine Quarkspeise mit Kirschen gemacht, wenn es für die anderen Milchreis gab.
    Einfache, gekochte Kartoffeln mag ich auch nicht. Die sind einfach schrecklich.

    Schlechte Erinnerungen habe ich außerdem an Cornflakes. Vor einer Schüssel habe ich mal einen kompletten Sonntag gesessen. Man kann sich wahrscheinlich vorstellen, wie die Dinger abends ausgesehen haben, nachdem sie morgens bereits in der Schüssel auf die Milch getroffen waren. Ein Abendessen gab es an dem Abend für mich nicht, da ich mich strikt weigerte die Cornflakesmasse aufzuessen.

    Zu deinem Frischkäseproblem. Gibt es sowas nicht in einer blauen Pappverpackung mit kleinen Portionen innendrin, die in Alufolie verpackt sind. Kiri heißt das, wenn ich mich nicht irre…

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