Die Eskapistin

Ich leide unter post-adoleszenter Bettverlustangst

Wir erinnern uns

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Ich möchte mich hier nun nicht zu Eva Herman und ihren Auftritt äußern. Das ist an anderer Stelle bereits besser als ich es schreiben könnte geschehen (und übrigens auch hier). Aber die Aussage „Ich muss einfach lernen, dass man über den Verlauf unserer Geschichte nicht reden kann, ohne in Gefahr zu geraten.“ hat bei mir für solch eine Wut gesorgt, dass ich danach kaum einschlafen konnte.
Okay, das Thema Vergangenheitsbewältigung ist ein schweres. Und Generationen von Historikerin, Politikwissenschaftlern und Soziologen quälen sich auch heute noch damit herum. Wie beschreibt man den Holocaust? Lässt er sich überhaupt beschreiben? Wie geht man mit dem Begriff der Schuld um? Wie geht man mit der Generation der Zeitzeugen um?
Aber: man kann darüber reden, man muss sogar. Gerade wenn man nicht darüber redet, über Diktatur, die Vernichtung von allem, was in ein „Konzept“ nicht passt, ist die Gefahr von Banalisierung so groß.
Auch ich gehöre zu denen, die das ganze „Ihr heutigen Deutschen seid schuld am Holocaust“ nicht mehr hören können; ich sehe das anders: wir – also meine Generation, meine Eltern: wir – sind nicht verantwortlich für das, was geschehen ist. Aber: wir wissen aus unserer eigenen Geschichte, wie es die kollektive Identität, wie es das Gedächtnis von Millionen Menschen prägen kann, was geschehen ist. Deshalb sind wir nicht verantwortlich für die Ereignisse des Dritten Reiches, sondern ein Stück weit dafür verantwortlich, dass so etwas nicht wieder passiert. Und wenn dann einige Menschen meinen, die Autobahnen und das Familienverständnis wären ein besseres gewesen, kann ich nur den Kopf schütteln: die Pläne für die Autobahnen gab es seit 1924 (da saß Hitler übrigens gerade im Gefängnis) und wo bleibt Familie, wenn es nur darum geht, dass die Frau möglichst viele Kinder für die Hitler unterstützende Masse zur Welt bringt? Wo ist Familie, wenn der Vater im Krieg gefallen ist? Wo, wenn den Eltern alle Söhne genommen wurden? Wo, wenn Familie nur so lange zählt, wie sie nach willkürlichen Massstäben in ein Raster passt?
Das widert mich an dieser Diskussion am meisten an: die Stammtischparolen, die wahrlich rausgehauen werden. Ohne Sinn und Verstand werden irgendwelche Sätze gesagt, die erst erschreckend werden, wenn man dahinter guckt. Eines meiner „Lieblingsbeispiele“ ist die Chronik eines Dorfes, das genau neben dem ehemaligen KZ Neuengamme lag. Verfasst wurde die Chronik in den 1980er Jahren und dennoch findet sich über das KZ für die Jahre 1938 bis 1945 kein Verweis, sondern nur die Aussage, dass das Dritte Reich eine schwere Zeit gewesen sei, weil die Frauen den Dorfbetrieb alleine aufrecht erhalten hätten – es folgt ein Rezept für Sirup als schmackhafter und günstiger Brotaufstrich.

11 Kommentare zu “Wir erinnern uns

  1. was mich heute – einen tag nach der herman – am meisten stört: die alte kann gar nix, die ist dumm wie brot, hat von der materie KEINE ahnung aber nur weil sie eine fernsehfresse ist darf sie sagen was sie will.
    eigentlich grenzt das an volksverhetzung die noch dazu legal ist, nur weil die dame etwas berühmter ist.
    dummheit siegt. wir verlieren. denn „schuld“ ist ja keiner mehr, verantwortung ist auch lästig. „wir“ sind doch jetzt „schwarz rot geil“
    bah

  2. Heisses Eisen – man kommt zwangsläufig beim Thema Nazi-Geschichte zum Konflikt zwischen Meinungsfreiheit und Menschenwürde. Insofern hat Frau Hermann nicht ganz unrecht: Man begibt sich in die Schusslinie, und – wie man bei ihr gut beobachten kann – erliegt auch schnell der Versuchung, sich als missverstandenes Opfer wahrzunehmen (statt für den Bockmist, den man verzapft hat, gerade zu stehen).

    Die Zeit der Hitler-Diktatur hat für einige interessante Aspekte im Grundgesetz gesorgt (die ersten 20 Artikel sind gegen Veränderungen gesichert), hat aber auch ein paar Tabus definiert, die es so in anderen Demokratien nicht gibt. Meinungsfreiheit hat in den USA einen anderen Stellenwert, hier ist einfach die Angst zu spüren, damit alte Geister aufzuwecken. Persönlich halte ich eben diese Tabus für falsch, doch hier gleich von ZENSUR! zu reden ist ebenso eine Stammtischparole wie die Floskel „Es gab ja auch gutes damals.“

    Frau Hermann ist für mich einfach ein konservativ denkender Mensch mit einer subjektiven Realitätswahrnehmung und fehlendem Kritikverständnis – damit gesellt sie sich zu einer Masse anderer Menschen in diesem Land und ist bei weitem nicht das Besondere, welches sie meint darzustellen. Y-Promi halt 🙂 Man sollte sie nicht überbewerten.

  3. ich kapiere diese frau nicht.

    ihr wurden gestern ALLE möglichkeiten der welt gegeben, ihre aussagen richtig zu stellen. kerner hat es sogar MEHRMALS ganz deutlich gesagt, so deutlich dass das aber auch ein dreijähriges kind hätte verstehen müssen. und da können mir noch so viele leute in noch so vielen internetforen sagen, dass das gestern deswegen ein medientrauerspiel war, weil es als schautribunal bezeichnet werden kann, mit dem klaren ziel der abkanzlung von eva herman und sonst nix; ich widerspreche vehement. in einem schautribunal hätte kerner nicht immer wieder „schau mal, eva“, „es ist doch so …“ und weiteren beschwichtigenden kram gesagt. sag mal: wie verbohrt, stur, dickköpfig kann eine einzelne frau eigentlich sein?

    NATÜRLICH unterstellt eva herman niemand ernsthaft, dass sie rechts sei oder nationalsozialistisches gedankengut wirklich vertrete. aber es gibt halt dinge, die kann man so nicht sagen, die sind als vergleich besonders wenn man person des öffentlichen interesses ist, nicht angebracht. sie kam mir vor wie ein prüfling, der gerade nur mist redet, und der prof versucht ncch sein bestes um einzulenken, und muss sich daraufhin nur sagen lassen: „mit ihnen rede ich nicht. ich mag hier scheisse geredet haben, aber ich bin stolz auf diese scheisse, ich habe das ja schließlich geschrieben, so schauts aus.“ argh. argh. ARGH.

    ich habe übrigens auch drüber geschrieben, wie soll man denn auch anders? ich habe da gestern etwas gesehen, was ich noch weniger verstehen und nachvollziehen kann als mathematik. das heisst was.

  4. Es ist eientlich immer der selbe Verlauf: irgendjemand aus der 3. Reihe ruft Hitler! und das Geschrei ist groß. Ich finde es sehr traurig, dass dieser Nazi-Diskurs sich in Deutschland immer im Kreis zu drehen scheint und in der breiten Öffentlichkeit stets nur ein Echo findet, wenn er mal wieder von der C- Prominenz angestoßen wird. Mir fehlen die Fachwissenschaftler, die sich mit ihrer Meinung auch mal dem breiten Publikum und nicht nur der „Elite“ zur Verfügung stellen. In der Sendung von Kerner war ja nun ein Historiker zu Gast, doch statt das unreflektierte Halbwissen der Eva Herman zu enttaren (wie es Ulrike ja hier beispielsweise tut, wenn sie das immer wieder so gern genutze Autobahn- Argument mit einfachen Fakten vom Tisch wischt), merkt Professor Wippermann nur an, dass die Dame mit ihrer Terminologie „in eine problematische Ecke“ gerate.
    In einer problematischen Ecke stehen wir meiner Meinung nach alle, wenn wir zulassen, dass die Diskussion über die deutsche Vergangenheit derart verflacht.

  5. @senor juan:

    Genau das von Dir beschriebene reflexartige „Oh, sie hat Hitler gesagt!“ ist aber in den letzten Jahren einer eher ernsthaften Diskussion gewichen. Und genau an der Stelle setzt auch die Kritik an: Es geht nicht so sehr um die Vergleiche mit dem 3. Reich an sich, sondern das Beharren darauf, obwohl sie DENKBAR SCHLECHT sind.

    Es gibt eine Reihe von Menschen, die offen zu ihrem rechtsextremen Gedankengut stehen. Zu einem gewissen Teil ist dies auch durch die Verfassung gedeckt, und das ist auch gut so. Langsam – viel ZU langsam, aber immerhin – gelingt uns so eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Zeit, mit den Sehnsüchten dahinter und warum viele insgeheim auch gutes darin erkennen.

    Eva scheint sich eine Welt wie in den 50ern herbeizusehnen, sucht nach Antworten warum die 68er Generation so gemeutert hat – und meint sie im Widerstand gegen die Nazi-Geschichtsverdrängung eben jener Jahre gefunden zu haben. Ob ihr Gedankengut rechts oder nur ausgesprochen konservativ ist, halt ich für Haarspalterei – ihre Welt widerspricht einfach meiner Wahrnehmung von Gleichberechtigung und Freiheit, egal wie man es nennt.

    Ihr Beharren auf der Aussage mit dem Nazi-Vergleich ist typisch arrogant: „Ich wurde missverstanden *heul heul*, die anderen sind einfach zu doof *flenn*“ -> peinlich, aber auch nicht peinlicher als all die anderen Vollkoffer, denen die Tageszeitungen viel zuviel Aufmerksamkeit schenken.

  6. @ truetigger: Ich stimme Dir schon zu, dass es auch eine ernsthafte Diskussion gibt, das war sicher ein wenig populistisch von mir formuliert. Aber dennoch ändert es nichts an der Tatsache, dass es offenbar immer noch möglich ist für diese eigentlich doch so unbedeutenden Eva Hermans aller Art, die „Schocker-Karte“ 3. Reich zu ziehen, um eine schier unfassbare Medienpräsenz zu erlangen. Solange eine Diskursverkürzung auf diesem Niveau möglich ist, ist noch eine Menge zu tun.

  7. @senor: Wahre Worte!

  8. Ich hab mich natürlich auch damit auseinandergesetzt, wenn auch nicht in einem Blogeintrag 😉

    In vielem kann ich truetigger nur zustimmen. Ein ernstahfter Diskurs ist schon möglich…wenn denn der Gegenüber auch andere Argumente zulässt. Aber zu sagen, sie hat aus dieser Sache nichts gelernt, außer dass man in unserer Gesellschaft nicht über die Geschichte reden kann, ohne „in Gefahr zu geraten“, hat mich ebenso wütend gemacht.

    Sie muss doch einsehen, dass dieser Vergleich (und die Argumente, die sie völlig aus dem Zusammenhang gerissen hat wie ja Ulrike schon zeigte) schlecht gewählt waren. Zu sagen diese Werte sind gut, aber den Hintergrund auszulassen, dass sie als Propaganda verwendet wurden um neues Kanonenfutter zu schaffen finde ich ganz gefährlich.

    Ein vernünftiger Diskurs sollte immer möglich sein, wenn er denn vernünftig geführt wird.

    In den ersten zwei Minuten, als sie darstellte, dass das Zitat in den Medien falsch wiedergegeben wurde, konnte ich ihr noch zustimmen. Danach wurde sie mir zusehens unsympatischer.

    Und zu ihrer Kritik an den 68ern sage ich mal ganz laut gar nichts.

  9. sehr feine diskussion.
    ich mag dann auch nur noch anmerken, dass ich hier und an andere stelle gerne mal feststellen will, dass gerade in diesem fall der diskurs viel besser war, als alle meinen.
    es wird schnell die „jeder der nazi sagt wird unfair behandelt und nicht angehört“ karte gezogen, nur hier funktioniert das nicht.
    jeder mensch hätte gesag „schwamm drüber“, wenn frau herman auch nur den ansatz von reue bei ihrer wortwahl gezeigt hätte….selbst wenn sie ihrer sache treu geblieben wäre. hat sie aber nicht. und was wollen wir noch von einer diskussion verlangen, ausser jemandem die ordentliche chance zu geben, seine meinung so darzustellen, dass die verzerrung aufgehoben wird?
    ich glaube wirklich, dass sie da eine faire chance hatte, sich aber selbst so ins abseits gestellt hat dass niemand mehr helfen kann. denn wer auf solchen sätzen beharrt ist selber schuld und dumm dazu.
    billig, aber mein grosses problem: ihr süffisant-arrogantes grinsen. dafür hätte ich sie schon nach 2 minuten rausgeworfen.

  10. Weltuntergänge? Man sollte meinen, da kann es nur einen geben! 😉

    Und zu Eva: Wie ich schon gestern bei dir schrieb, sch*** erzählen doch so viele Leute pausenlos. Bei ihr hat man wenigstens die Chance, etwas dagegen zu sagen, weil sie es öffentlich tut!

  11. Ich finde, man sollte da nicht so eine(n) Hermann von machen.

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